Innovationen

Vom Kultur-Mekka zum Hightech-Powerhouse: Wie Europa sich neu erfindet

Vom Kultur-Mekka zum Hightech-Powerhouse: Wie Europa sich neu erfindet

Warum Europa die USA als Tech-Innovationstreiber ablösen könnte

Von Gaurav Gupta, Chief Business Officer/ L&T Technology Services

Gaurav Gupta, Chief Business Officer/L&T Technology Services

Paris – Heimat der Notre Dames und des Louvre mit der Mona Lisa, dem wohl berühmtesten Bild der Welt. Im Jahr 2018 stand die französische Hauptstadt aber aufgrund der VC-Finanzierung mit rund 1,4 Milliarden Euro für Technologie-Startups im Mittelpunkt. Berlin, einst der Magnet für Komponisten, Maler und Dichter, hat sich zu einer der am schnellsten wachsenden Technologiestädte der Welt entwickelt, und ist in Deutschland führend mit rund 1,6 Mrd. Euro an eingesammeltem Kapital (vgl. EY Start up Barometer 2018 ). Die schottische Hauptstadt Edinburgh, bekannt für ihr historisches Schloss und die Royal Mile, beherbergt heute die drittgrößte globale Gemeinde an „Unicorns“ – Start-ups mit einem Firmenwert von über einer Milliarde US-Dollar.

Dies sind nur einige Beispiele, die auf das digitale Wiederaufleben hinweisen, das auf dem gesamten Kontinent stattfindet. Während die Touristen weiterhin in die unzähligen Museen und anderen historisch und kulturell wertvollen Orte strömen, ist Europa dabei, seinen Thron als das technologische Kraftzentrum der Welt zurückzuerobern. Nach der ersten industriellen Revolution folgt nun also die Version 2.0. Dank seiner tadellosen Infrastruktur, seines hohen Lebensstandards und seines gleichberechtigten Zugangs zu Bildung sind der Kontinent und dessen Bewohner gut gerüstet, um Innovation und Fortschritt voranzutreiben.

Als EU-Bürger, der seit fast zwei Jahrzehnten in der EU lebt, freut es mich sehr, wie Europa seine Technologieführerschaft stärkt, insbesondere angesichts der jüngsten Entwicklungen rund um Industrie 4.0. Meiner Meinung nach ist Europa einem nachhaltigen und sicheren, technologiegetriebenen, menschenorientierten Wachstumsparadigma verpflichtet. Dazu zählt auch, dass die Europäer im Mai 2018 auf dem Höhepunkt der globalen digitalen Transformation die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) einführten.

Innovation für den Menschen im Zeitalter der Demokratisierung der Daten

Die DSGVO ist nur ein Beispiel für die aktive Rolle der Europäischen Union bei der Festlegung inwiefern sich Technologien auf das Leben der Menschen auswirken. Die bahnbrechende Gesetzgebung kann nicht nur eine Blaupause für andere Industrienationen wie die USA und China sein, sie ist auch ein globaler Meilenstein auf dem Weg zur Datendemokratisierung und zur Schaffung angemessener Schutzmechanismen für die Wiederherstellung des Primats des Einzelnen gegenüber allmächtigen Unternehmen in dieser zunehmend gesichtslosen, digitalen Welt.

Die meisten Regierungen in der EU sind heute proaktiv und zeigen viel Weitsicht, wenn es darum geht, das Wachstum der Technologie so zu fördern, damit das Leben ihrer Bürger verbessert wird. Europa hat sich daher zu einem der aktivsten Technologieanwender weltweit entwickelt und dabei sichergestellt, dass das Recht des Einzelnen auf Datenschutz nicht verloren geht.

Technologisch ist Europa in vielen Bereichen führend, zum Beispiel bei der autonomen und intelligenten Mobilität. Es übertrifft Asien und die USA und ist derzeit führend bei der Einführung von Automotive-Lösungen der nächsten Generation. BMW & Daimler haben sich zusammengeschlossen, um ein nahtlos integriertes, nachhaltiges Ökosystem aus Carsharing, Ride-Hailing, Parken, Aufladen und multimodalen Verkehrsdiensten zu schaffen.

Auch bei der Modernisierung von Flugsicherungssystemen sind die europäischen Flughäfen beispielhaft. Das in der gesamten Region durchgeführte Programm SESAR (Single European Sky Air Traffic Management Research) bietet neue Möglichkeiten für die Verwaltung von Flügen zwischen verschiedenen Luftsektoren und sogar digitale Kontrolltürme, die in der Lage sind, den Verkehr ferngesteuert abzuwickeln. Darüber hinaus wird erwartet, dass die Initiative eine Reihe direkter Auswirkungen auf die Luftverkehrsbranche und die Umwelt haben wird, die von der Verringerung der Verwaltungskosten bis hin zur Senkung der CO2-Emissionen um bis zu 10% reichen.

Nächstes Beispiel Industrie 4.0. Hier positioniert die Bundesregierung, Deutschland als einen führenden Markt und Ursprung von Anbietern mit fortschrittlichen Fertigungslösungen. Als Hauptakteur der vierten industriellen Revolution durch den Einsatz intelligenter, digitaler Technologien stellt die Initiative einen großen Paradigmenwechsel von einem „zentralisierten“ zu einem „dezentralen“, intelligenten Fertigungs- und Produktionsmodell dar. Die Dynamik dieser Verschiebung lässt sich am Wachstum des deutschen Marktes für Industrie 4.0-Lösungen – die Software-, Hardware- und IT-Dienstleistungen umfassen – von 4 Milliarden Euro im Jahr 2015 auf 6 Milliarden Euro im Jahr 2017 erkennen, was einem Anstieg von 50% entspricht. Wir gehen davon aus, dass sich dieser Trend weiter verstärken wird, mit einem prognostizierten Marktvolumen von 7 Milliarden Euro im Jahr 2018 und kaum Anzeichen einer Nachfrageschwäche.

Der verstärkte Fokus Europas auf Innovation wird auch durch eine kürzlich durchgeführte Deloitte-Umfrage bestätigt: Unternehmen investieren erheblich in Menschen, Technologien und Systeme, um die Innovationsdynamik zu erhalten. Die Abbildung unten veranschaulicht das Szenario, wobei Analytics, Cloud und IoT das Ranking als bevorzugtes Investitionsfeld für die Unternehmen in der Region anführen. Das Wachstum von Industrie 4.0 im Einklang mit den anderen Initiativen der Europäer zur Förderung einer Kultur der technologischen Innovationen und Annahme dürfte diesen Trend nur verstärken.

Der Aufstieg der Smart Cities

Auch die europäischen Städte sind auf diesen Trend aufgesprungen, zumal sich einige der europäischen Metropolen unter den ersten 20 der lebenswertesten Städte der Welt befinden. Anfang des Jahres stand Wien, die Stadt des Walzers und der „Blauen Donau“, zum zweiten Mal in Folge an der Spitze des Smart City Strategy Index , London folgte auf dem zweiten Platz. Diese Leistung ist ein Beweis für die Möglichkeiten, die von der Regierung geführte Initiativen wie die Europäische Innovationspartnerschaft für intelligente Städte und Gemeinden (EIP-SCC) bieten. Berlin, von manchen als Silicon Allee bezeichnet, hat sich mit stetiger Unterstützung der Behörden zu einer der am schnellsten wachsenden Technologiestädte Europas entwickelt. In der Wachstumsgeschichte Berlins ist jedoch der Beitrag der Bürger von Bedeutung, den eine Umfrage zeigt, dass 59% der Berliner als Gründungswillige aktiv zum technologischen Fortschritt beitragen.

Ich denke, die Voraussetzungen für einen intensiven Wettbewerb zwischen den europäischen Städten um Qualifikationen und Investitionen wurde bereits geschaffen, und er beschränkt sich nicht nur auf Wien, Berlin, Paris oder London. Im Rennen sind zum Beispiel auch Manchester, die Heimat von zwei weltberühmten Fußballvereinen, Göteborg, die malerische westschwedische Stadt am Göta-Älv-Fluss sowie Zürich, Amsterdam, Den Haag und Hamburg – wobei jede Stadt versucht, sich als bevorzugtes Ziel zu positionieren. Ein gemeinsamer Nenner scheint diese Städte in ihrem Streben nach Fortschritt und digitaler Führung zu vereinen – ähnlich wie die berühmten Pilgerziele von einst, wo die führenden Domstädte um die Aufmerksamkeit der Gläubigen wetteiferten. Es scheint, dass sich diese Rivalität im neuen Zeitalter mit jedem Tag noch verstärkt.

Europa entwickelt sich schnell zu einem spannenden Pool von Forschern und Institutionen, die Innovationen in den Bereichen KI und Robotik vorantreiben. Während die Europäische Kommission bereits gefordert hat, dass bis Ende 2020 rund 20 Milliarden Euro in KI investiert werden sollen, arbeiten Universitäten wie Cambridge, die ETH Zürich und die Technische Universität Berlin mit führenden Technologieunternehmen zusammen, um Innovation und Akzeptanz voranzutreiben.

Der Kontinent ist auch im Bereich der Technologieeinführung an der Spitze, wobei verschiedene Unternehmen Europa als bevorzugtes Ziel für Inkubatoren und Accelerator wählen. Zwischen 2008 und 2013 verzeichnete das Ökosystem eine Wachstumsrate von rund 29%, das ist mehr als doppelt so viel wie die 14% der vorangegangenen sieben Jahre. Während das Silicon Valley nach wie vor die Führung innehat, vollzieht sich hier eine deutliche Verschiebung, so dass wir bereits über das europäische Silicon Valley sprechen können.

Diese Transitionen eröffnen der globalen Technologie-Dienstleistungsbranche neue Perspektiven. Europa fokussiert sich erneut auf die Gewinnung von Investitionen und Talenten, anstatt einfach nur Verbraucher zu sein. Globale Unternehmen müssen ihre Strategie überdenken und ihre Ressourcen aufeinander abstimmen, um die neuen Möglichkeiten dieses Szenarios optimal zu nutzen. Der drohende Brexit stellt allerdings eine große Hürde für die Europäer und die Weltgemeinschaft dar, denn die Herausforderungen der Arbeits-, Kapital- und Technologiemobilität müssen voraus geplant sein.

Planning for the Future – oder warum Europa die USA als Tech-Innovationstreiber ablösen werden

Ich bin zuversichtlich, dass die kommenden öffentlichen Technologie-Initiativen und die technologisch versierten Erwerbstätigen Europa helfen werden, sich im Wettbewerb zu behaupten. Der Fokus der EU auf die Datensicherheit und die zunehmende Bedeutung von Smart Living sind zwei Schlüsselentwicklungen, die meiner Meinung nach dazu beitragen werden, den Kontinent als Hotspot in der globalen digitalen Technologielandschaft zu positionieren. Während die USA bisher der führende Innovator waren, scheinen die Europäer bereit zu sein, die Amerikaner aufzuholen und zu überholen, wenn es um die Einführung und Implementierung neuer Technologien geht. Eine Kombination von Faktoren, darunter eine gute Infrastruktur, technologiefreundliche Verbraucher, relativ einfache Einwanderungsverfahren aufgrund offener Grenzen und Kostenvorteile gegenüber den USA, treibt diese Transformation voran, und wir können uns auf eine Revolution in naher Zukunft freuen.