Digitale Transformation & Security

Die Digital Twin Organisation als Garant der Sicherheit

, Düsseldorf, Fabasoft | Autor: Andreas Dangl

Schnittstelle zwischen digitaler und physischer Realität

Das von der Gartner Group 2018 vorgestellte Konzept eines Digital Twin für Organisationen (DTO) verspricht nicht nur eine optimale und umfassende Planung aller Prozesse im Unternehmen, sondern auch eine Erhöhung der Datensicherheit und des Datenschutzes. Software-Lösungen, die aus der Cloud bezogen werden, liefern schon heute wichtige Bausteine für die Verwirklichung dieser Vision: die Standardisierung aller produktbezogenen Prozesse auf einer Plattform.

Andreas Dangl, Fabasoft

Die Initiativen zur digitalen Transformation, die in aller Welt vorangetrieben werden, öffnen den sicherheitsrelevanten Zugriffen unbefugter Cyberkrimineller weitere Zugangswege. Vielfach haben die so digitalisierten Unternehmen nämlich keinen Überblick über alle Bestandteile ihrer Organisation und über die ablaufenden Prozesse. Die Prozesse involvieren ja vielfach auch externe Partner.

Cyberkriminelle machen sich üblicherweise deren Zugriffsrechte zunutze, um in Unternehmensnetzwerke einzudringen und mit Advanced Persistent Threats (APTs) an vertrauliche und kritische Daten des Zielunternehmens zu gelangen und diese möglichst unbemerkt zu extrahieren. Um wenigstens einen umfassenden Überblick über das eigene Unternehmen und seine Partner zu erhalten und so überall, wo nötig, Gegenmaßnahmen ergreifen zu können, könnte das Konzept des digitalen Zwillings der jeweiligen Organisation hilfreich sein. Es ist Teil der Gartner-Strategie des ContinuousNEXT, das den Begriff "Digitale Transformation" erweitern und ablösen soll.

Digital Twin Organisation

Der Begriff eines "digitalen Zwillings" ist auf der Schnittstelle zwischen digitaler und physischer Realität bereits seit Jahren vertraut. Durch IoT-Sensordaten und digitale Modellierung im Rechner lassen sich bereits eine Vielzahl von komplexen Objekten modellieren, überwachen und steuern. Die Palette reicht von Flugzeugturbinen über BMX-Bikes bis zu Windkraftturbinen. Die Begriffe des Internets der Dinge (IoT) und des Edge Computings sind hier von Bedeutung.

Doch wie Helen Huntley, Analytikerin bei der Gartner Group im Oktober 2018 sagte, „entwickeln sich Digital Twins weiter und werden robuster“. Unternehmen könnten einen digitalen Zwilling ihrer Organisation anlegen, einen sogenannten DTO. Mit dessen Hilfe könnten IT-Leiter virtuell sehen, wie Mitarbeiter ihre Tätigkeiten verrichten, indem sie Systeme und Prozesse nutzen und wie diese Workflows von Abteilung zu Abteilung weitergereicht werden. Man stelle sich einen Arbeitsplatz aus der Vogelperspektive vor.

Diese Vogelperspektive erzeugt nach Angaben Helen Huntleys eine kontinuierliche "Aufklärung" dessen, was in Echtzeit wirklich geschieht. Anhand dieses Modells könnten CIOs verschiedene Szenarien (etwa Geschäftsmodelle) durchspielen, eines auswählen und anschließend in der Realität umsetzen. Der DTO erlaubt es, verschiedene Entscheidungsszenarien zu simulieren und ihre Folgen zu bewerten.

Das DTO-Modell sei so detailliert, dass damit komplette Entscheidungs-, Arbeits- und Veränderungsprozesse eines Unternehmens durchgespielt werden können – egal ob real oder fiktiv. So können potentielle Fehler vorab erkannt werden, bevor sie in der Realität Schaden verursachen. Und das ist für die Aspekte der Security und Privacy von höchster Bedeutung. Hier spielt bereits heute KI zahlreiche Szenarien in Sekundenschnelle durch.

Die Umsetzung

Die großen Dimensionen eines solchen Vorhabens sollten einen kühn denkenden Geist nicht davon abhalten, sich damit zu befassen: "Think big, start small", etwa mit Design Thinking. Verfügt der CIO oder Projektleiter über skalierbare Ressourcen in der Cloud, stehen ihm die nötigen IT-Ressourcen und Anwendungslösungen zur Verfügung. Die Cloud-Infrastruktur sorgt zudem für die notwendige Zugriffssicherheit und den Datenschutz.

Am Anfang steht die Erkenntnis, dass eine so allumfassende Einsicht in ein Unternehmen sämtliche Bereiche der Organisation umfasst. Der Vorstand und die Abteilungen Finance, Sales, Marketing und IT müssen alle auf das gleiche Ziel hinsteuern. Deshalb sollte sich das Ziel des Unternehmens mit der Unternehmens-DNA decken. Die Digitalisierung stellt das ideale Rüstzeug dafür bereit, beides in Einklang zu bringen.

Die größte Hürde bildet der erste Schritt: Die Erfassung der eigenen Organisation und ihrer Partner, die in Ablaufketten von Wertschöpfung und Kommunikation eingebunden sind. Die genannten Abteilungen müssen die entsprechenden Daten liefern. Wenn sie das nicht rechtzeitig schaffen, tritt Plan B in Kraft: Die automatische Erfassung der Organisationsstrukturen zwecks Prozessmodellierung. Denn wie schon Helen Huntley ausführte, sind es die Prozesse und Abläufe zwischen den Abteilungen und die Interaktionen der Mitarbeiter mit der IT, die das Herz dieser DTO-Modellierung ausmachen. Folglich ist auch der DTO kein Produkt, sondern ein Prozess.

Prozessmodellierung

Ausgangpunkt jeder Prozessmodellierung ist die Erstellung der Aufbauorganisation , die aus Abteilungen und Rollen sowie Business Units einer Organisation besteht. Entweder legt der Administrator der Cloud-Anwendung diese Entitäten und ihre Funktionen (Freigabe, Weitergabe usw.) selbst in der Lösung an, oder die Informationen werden über eine Schnittstelle aus einem ERP-System importiert.

Die Aufbauorganisation wird anschließend in eine Cloud-Lösung importiert, die die gesamte Organisation abbildet und verwaltet. Auf diese Weise können beispielsweise Freigaben nicht nur von bestimmten Personen eingeholt werden, sondern über flexibel gestaltbare Rollen geregelt werden (der „Head of HR“ gibt beispielsweise ein Dokument frei). Damit müssen die Prozesse nicht jedes Mal angepasst werden, wenn sich die Aufbauorganisation ändert. Das DTO-Modell wächst mit und spiegelt die Realität getreu wider.

Digital Product Management

Ein zweiter wesentlicher Baustein auf dem Weg zum DTO ist die Nutzung des digitalen Produktmanagements. Es hat den Vorteil, nicht nur die oben erstellte Aufbauorganisation zu enthalten, sondern auch die produktbezogenen Prozesse und Kommunikationswege abzubilden. (Diese Produkte können ja auch aus digitalen Services bestehen.)

Das Hauptproblem, das größere Organisationen durch die vielerorts noch fehlende Digitalisierung im Produktmanagement haben, liegt darin, dass essenzielle Informationen bzw. Produktinformationen nicht in digitaler Form vorliegen. Die Folge: Alle am Produktmanagement beteiligten Personen befinden sich in der Regel auf einem völlig unterschiedlichen Informationsstand. Widersprüche und Lücken sind an der Tagesordnung.

Der Grund dafür ist die schlechte bereichsübergreifende Zusammenarbeit von Abteilungen in einem größeren Unternehmen. Da gibt es den mehrköpfigen Vorstand des Unternehmens, der das Unternehmen führt und Entscheidungen trifft, außerdem die Firmenzentrale mit ihren Abteilungen Finanzen, Produktmanagement, Marketing, IT, HR, F&E usw., die für die gesamte Unternehmensgruppe zuständig ist.

Die Lösung dieses komplexen Problems liegt in einer zentralen, digitalen, strukturierten und sicheren Steuerung der Kommunikation im Produktmanagement, die vor, bei und nach einem Produkt-Rollout in beide Richtungen stattfindet: vom Produktmanager zu den Stationen im Vertrieb und wieder zurück. (Ähnliches gilt fürs Marketing und den Service.) Mit einer entsprechend leistungsfähigen, skalierbaren und sicheren Cloud-Anwendung greifen in dem Unternehmen alle Beteiligten (interne als auch externe Personen) auf ein zentrales System zu, dass für die Verwaltung aller erfolgsrelevanten, voll digitalisierten Informationen rund um die Produkteinführung zuständig ist.

Ein solches System ist häufig an das bestehende ERP-System angebunden. Die Daten werden aus dem ERP-System in die Cloud transferiert, wobei keine zentrale IT benötigt wird. Nun stehen dem Unternehmen strukturierte Daten zur Verfügung, auf die rasch und einfach zugegriffen werden kann (beispielsweise in einem Report oder BI-Dashboard (Business Intelligence)) und die für die Planung der nächsten Projekte genutzt werden können. Analysen erlauben nicht nur das Aufspüren von Flaschenhälsen in den Prozessen, sondern auch – die entsprechende SIEM-Lösung (Security Information and Event Management) vorausgesetzt – von Schwachstellen in der Infrastruktur für Data Security. Die Daten werden in geeigneten Rechenzentren nach höchsten Sicherheitsstandards gespeichert und können durch die Integration interner als auch externer Personen bzw. Rollen sicher übermittelt werden. Somit ist ein Gutteil des DTO bereits heute realisierbar.

Intelligente Produkte

Mit Mark Raskino streicht ein weiterer Gartner-Analyst die Bedeutung des Digital Product Managements für die Strategie des ContinuousNEXT heraus. Er erweitert die Bedeutung von Produktmanagement um eine Komponente, die immer wichtiger wird: Produkte "intelligent" zu machen. "Digitale Technik und Produktinnovation werden in allen Industriezweigen zunehmend unzertrennlich."

Die leistungsfähigsten Unternehmen der Gegenwart haben Raskino zufolge, digitale Technologie mit Produkten verschmolzen, um auf diese Weise eine neue Steuerungspraxis zu erzeugen. Man denke nur an den E-Reader Amazon Kindle, der nur Kindle-E-Books akzeptiert, aber den Wunsch des Kunden nach bestimmten E-Books antizipiert. Das gleiche findet im Streaming-TV statt: Netflix weiß genau, was seine Abonnenten konsumieren. Daher ist es in der Lage, zeitnah seine Angebotspalette umzustellen und auf jeden einzelnen Kunden auf der Welt zuzuschneiden. Als Folge dieser Entwicklung werde laut Raskino Digital Product Management letzten Endes IT-Projektmanagement überflüssig machen.

Security & Privacy

Was bedeutet dies für die Belange von Security und Privacy? Dies sind keinesfalls Nebensächlichkeiten, wie Mike Harris, der weltweite Marktforschungsleiter der Gartner Group erklärte, sondern zentrale Voraussetzungen des Gelingens von ContinuousNEXT-Initiativen. Ohne Vertrauen der Verbraucher und IT-Nutzer werde es keinen Erfolg geben: „Datenschutz führt zu Vertrauen und Vertrauen ist Macht.“ Obwohl Datenschutz ein Thema für den Vorstand und den Aufsichtsrat sei, könnten gerade mal die Hälfte aller untersuchten Organisationen entsprechend installierte Kontrollen vorweisen.

Über den Autor: Andreas Dangl ist Business Unit Executive für Cloud-Services bei Fabasoft. In seiner Funktion ist er für die strategische Positionierung der Fabasoft Cloud zuständig. Darüber hinaus berät und unterstützt er Unternehmen aus den unterschiedlichsten Branchen bei der Einführung von Cloud-Lösungen.

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